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Ausgabe #8: Tim & Charlie – Psychologie an der Börse

Steinzeit_Evolution
Glyptodon by Heinrich Harder (1858-1935) (Quelle: commons.wikimedia.org)

 

Wir haben euch schon mal einen Einblick in dieses Thema auf Investorenausbildung.de (Die menschliche Psyche und die Börse) gegeben. Dies soll nun der erste Artikel zur Reihe „Tim & Charlie – Psychologie an der Börse“ werden, in denen wir immer wieder psychologische Denkfehler in Bezug auf die Börse vorstellen.

Man muss sich vor Augen halten, dass auf dem Aktienmarkt (meistens) keine Maschinen, sondern Menschen handeln und Menschen neigen dazu nicht immer rational zu entscheiden. Deswegen ist es von essentieller Bedeutung sich mit verschiedenen Aspekten der menschlichen Psyche auseinanderzusetzen. Der Wirtschaftsnobelpreisträger und Psychologe Daniel Kahneman setzte neue Maßstäbe in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken, in dem er eine ganz wesentliche Unterscheidung traf:

Der Mensch besitzt zwei Systeme, welche er pragmatisch System 1 und System 2 nennt. Da wir uns jedoch nie merken können welches System jetzt welches ist, haben wir uns angewohnt System 1 Tim (keinerlei Begründung) und System 2 Charlie (angelehnt an Charlie Munger) zu nennen.

 

Tim & Charlie: Eine Charakterfrage

 

Unser Gehirn kann auf zwei Charaktere zurückgreifen, die es benutzt um verschiedene Denkprozesse zu lösen. Wir Menschen tendieren dazu eher faul zu sein und Denkprozesse soweit es geht automatisiert ablaufen zu lassen. Tim macht das genauso und arbeitet automatisch, intuitiv, schnell und weitgehend ohne willentliche Steuerung. Außerdem ist er sehr extrovertiert und gibt immer seinen Senf dazu.

Eine einfache Frage dazu an euch:

 

Ein Baseballschläger und ein Ball kosten 1,10€.

Der Baseballschläger kostet 1€ mehr als der Ball.

Wie viel kostet der Ball?

(Vgl. Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken)

 

Tim hat auch schon eine Antwort für uns parat, nämlich 10 Cent. Das hört sich zwar im ersten Moment richtig an, ist aber leider falsch. Erst Charlie muss sich mühsam mit der Mathematik auseinandersetzen. Würde der Ball 10 Cent kosten und der Baseballschläger einen Euro mehr (also 1,10€), dann wären die Gesamtkosten bei 1,20€. Die richtige Antwort lautet also, dass der Ball 5 Cent kostet. Das Problem ist, dass es unglaublich anstrengend ist Charlie um Rat zu fragen. Außerdem hat Tim eine ziemlich große Klappe und drängt sich immer in den Vordergrund.

 

Eine weitere Charaktereigenschaft von Tim ist, dass er sehr gerne übereilt Schlüsse zieht und nur Informationen hernimmt, die gerade verfügbar sind. Informationen die nicht verfügbar sind bzw. die Qualität der verfügbaren Informationen spielen keinerlei Rolle.

 

Ein Beispiel:

 

Walter wurde bei einer Zeitung gefeuert, weil er nicht kreativ genug war und keine guten Ideen hatte.

 

Tim sagt dazu, dass es Walter wahrscheinlich nicht zu viel bringt und es für ihn wohl auch keine Zukunft in so einer Branche gibt. Fügt man aber weitere Informationen hinzu, schaltet sich Charlie ein:

 

Sein Spitzname war Walt und sein Nachname Disney.

 

Jetzt erst wissen wir, dass es besagter Walter durchaus zu etwas gebracht hat und wohl eine der kreativsten Personen des 20. Jahrhunderts war.

 

Um Charlie um Rat zu fragen, muss man sich konzentrieren, was anstrengend ist und Energie verbraucht. Eine weitere Einschränkung von Charlie ist deswegen auch, dass er sehr fokussiert arbeitet und für ihn unwichtige Dinge ausblendet. Eine hervorragende Studie dazu gibt’s im nachfolgenden Video. Zählt wie oft der Ball von Spielern, die ein weißes Shirt tragen, gepasst wird. Bitte schaut euch zuerst das Video an und lest erst dann unten weiter. ?

 

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Wie oft wurde der Ball zu einem Spieler, der ein weißes Shirt trägt, gepasst? Im Endeffekt geht’s hierum eigentlich gar nicht. Den allermeisten fällt nämlich der Affe, der durchs Bild rennt, überhaupt nicht auf und das ist auch völlig normal so. Charlie ist so mit dem Zählen beschäftigt, dass er den Affen einfach ausblendet.

 

Die Geburt von Tim & Charlie

 

Woher kommen nun Tim und Charlie?

Hier kommt der gute Charles Darwin (1809 – 1882) mit seiner Evolutionstheorie ins Spiel:

Rolf Dobelli hat es in seinem Buch Die Kunst des klaren Denkens: 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen sehr anschaulich dargestellt. Er bezieht sich hierbei zwar explizit auf „Social Proof“ (ein Denkfehler, den wir noch vorstellen werden), aber eigentlich beschreibt er perfekt die Entstehung unserer beiden Freunde – Tim und Charlie.

 

„Angenommen, Sie sind vor 50.000 Jahren mit Ihren Jäger-und-Sammler-Freunden in der Serengeti unterwegs, und plötzlich rennen Ihre Kumpels davon. Was tun Sie?“ (Vgl. Rolf Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens)

 

Und das ist auch schon alles, was wir benötigen um die Entstehung von Tim und Charlie zu erklären.

Die eine Hälfte der Gruppe hielt sich nur an Tim, die andere nur an Charlie. Das Ergebnis sah dann über die Jahre ungefähr so aus:

Die Gruppe, die immer auf ihren inneren Tim hörte, lief davon egal was kam. Säbelzahntiger, Biber, ein Baum, scheißegal! Tim sagt lauf, also ist diese Gruppe immer weggelaufen. Das führte zwar dazu, dass sie ab und zu ein paar Kalorien zu viel verbrannt haben, aber sie wurden zumindest nie gefressen.

Die Gruppe, die eher auf Charlie hörte machte es anders. Liefen ihre Kumpels weg, machten die Charlies erst einmal einen auf „Der Denker“ und analysierten die Sache. „Rentiert es sich jetzt wegzurennen?“ „Ist ja ziemlich viel Energie, die da draufgehen würde!“ Solange nur ein etwas übermotiviertes Eichhörnchen auf sie zukam, war das alles kein Problem. Doch häufig genug war es dann doch ein Säbelzahntiger, ein Höhlenbär oder Ähnliches und die Charlies wurden nach und nach gefressen – Survival of the Fittest!

Somit war es in der Vergangenheit für das Überleben besser, einfach blind auf Tim zu hören.

 

Aber heutzutage ist die Sachlage ja etwas anders – vor allem an der Börse!

 

Tim & Charlie an der Börse

 

Natürlich benötigen wir auch heute noch beide Kollegen. Wenn man ins Wasser fällt, ist es sicherlich besser, sich blind auf Tim zu verlassen und einfach anzufangen zu schwimmen anstatt solange zu überlegen, ob das Sinn macht, bis man ertrunken ist. In unserer komplizierten Welt ist diese Verhaltensweise aber nicht immer die Klügste.

Oft genug handeln Menschen an der Börse wie ihre Vorfahren vor 50.000 Jahren. Die Kurse fallen, Tim sagt „so schnell wie möglich verkaufen“, also wird verkauft. Die Kurse steigen, Tim sagt „jetzt schnell kaufen“, also wird gekauft. So können extreme Situationen am Aktienmarkt wie Blasen (Hallo Bitcoin!) oder panischer Ausverkauf (Hallo Dotcom-Blase!) entstehen. Wenn man jedoch Tim kurzzeitig K.O. schlägt und sich auf Charlie verlässt, sprich sich die Zeit nimmt und die Lage rational analysiert, kann man in solchen Phasen, in denen auf dem Parkett lauter Tims rumrennen, sehr gute Investmentchancen entdecken.

 

Abschließend wünschen wir euch wie immer noch einen schönen Tag und viel Spaß und Erfolg beim Investieren! ?

 

Eure freundlichen Value Investoren aus der bayrischen Nachbarschaft

 

Andreas & Daniel

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