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Ausgabe #124: Bavarian Value Letter 2020 by Daniel Bleicher

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(Petar Milošević, Writing a letter, CC BY-SA 3.0)

Servus zusammen,

2020 ist nun schon fast vorbei und viele dürften wohl sehr froh darüber sein. Es hat im Januar wohl keiner erwartet, dass sich unser aller Leben so schnell so extrem verändern kann. Die Coronapandemie geht langsam an die Substanz, also auch psychisch – ich merke es bei mir selbst. Jedoch weiß ich auch, dass es viele Menschen leider noch sehr viel härter getroffen hat bzw. trifft. Aber diverse Impfstoffe sind nun unterwegs und da ich ein optimistischer und positiv denkender Mensch bin, glaube ich, dass das Ende des Tunnels in Sicht ist. Wir müssen nur noch etwas durchhalten. Und schlussendlich hat es die Menschheit bisher immer geschafft Krisen zu meistern und daraus gestärkt hervorzugehen. Eine meiner Lieblingsdarstellungen sind die „6 Charts Show How the World is Improving“ von Visual Capitalist, die zeigen, dass sich die Menschen immer weiterentwickeln und es ungeachtet – oder vielleicht aufgrund – der vielen Rückschläge und Krisen, die es in den vergangenen Jahrhunderten gab, es langfristig immer „nach oben“ ging – genauso wie an der Börse.

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(6 Charts Show How the World is Improving; Vgl. Visual Capitalist: https://www.visualcapitalist.com/6-charts-show-world-improving/)

Willkommen im Club der Crasherprobten

Die Weltwirtschaft und die Börse wurden durch Corona auch mächtig durchgeschüttelt. Andi und ich haben 2015 rum mit dem Value Investing begonnen – mitten im längsten Bullenmarkt der Börsengeschichte wie sich später noch herausstellen sollte. Wie ihr wisst war das für Value Investoren nicht unbedingt die beste Zeit. Wir haben hunderte toller Unternehmen analysiert und sind fast immer zum gleichen Ergebnis gekommen – zu teuer. Und dann nahm dieser Bullenmarkt im März dieses Jahres ein jähes Ende. Und wie haben wir auf unseren ersten Crash reagiert? Eigentlich genau so wie wir uns schon Jahre darauf vorbereitet haben. Es gab plötzlich so viele tollen Unternehmen zu günstigen Preisen. Wir waren so viel Auswahl gar nicht gewohnt und daher gingen wir im März und April regelmäßig auf Shoppingtour. Rein aus Investorensicht – ohne all die negativen Auswirkungen der Pandemie jetzt zu berücksichtigen – war es eine tolle Zeit.

Dabei musste ich dieses Jahr immer wieder an Benjamin Graham Financial Network, dem fiktiven Finanznachrichtensender von Jason Zweig, denken:
„Stattdessen ist das Bild das den Bildschirm füllt, das der Fassade der NYSE, geschmückt mit einem großen Banner, auf dem steht: „AUSVERKAUF! Preisermäßigung um 50%“. Als Begleitmusik erklingen ein paar Zeilen des Dauerbrenners von Bachman Turner Overdrive „You Ain’t See Nothing Yet“. Dann gibt der Moderator fröhlich bekannt:“ Die Aktien wurde heute wieder deutlich attraktiver, da der Dow bei heftigen Umsätzen um weitere 2,5 Prozentpunkte fiel – das ist der vierte Tag nacheinander, an dem Aktien billiger wurden. Technologie-Investoren schnitten sogar noch besser ab, da führende Unternehmen wie Microsoft heute fast 5% verloren, wodurch man sie sich noch leichter leisten kann. Das kommt zu den Nachrichten hinzu, als die Aktien bereits um 50% billiger wurden, auf ein Schnäppchen Niveau fielen, das wir seit Jahren nicht mehr erlebt haben. Einige bekannte Analysten sind optimistisch und glauben, dass die Kurse in den nächsten Wochen und Monaten noch weiter fallen werden.
Die Nachrichtenredaktion schaltet nun zu Ignatz Anderson, dem Marktstrategen der Wall-Street-Firma Ketchum & Skinner der sagt: „Meine Prognose ist, dass die Aktien bis Juni weitere 15% verlieren werden. Ich bin vorsichtig optimistisch, denn wenn alles gut läuft, könnten die Kurse auch um 25% nachgeben, vielleicht sogar stärker.““ (Vgl. Benjamin Graham: Intelligent Investieren)

Wir waren nun mitten in unserem ersten Börsencrash. Andi und ich hatten uns wirklich schön eingegroovt. Jede Woche bzw. jede zweite Woche haben wir Aktien von Unternehmen gekauft, auf die wir schon seit Jahren gewartet haben. Wir haben nachgekauft, neue Positionen aufgebaut – wir waren für unsere Verhältnisse extrem aktiv. So weit so gut, aber ich hatte auch meine Probleme. Aber nicht als die Börse nach unten stürzte, sondern dann als es genauso so schnell wieder nach oben ging. Der rasche Aufschwung hat mich wirklich auf dem falschen Fuß erwischt. Als die Aktienkurse nach oben kletterten – ne, das ist das falsche Wort. Als die Kurse nach oben rauschten, wurden wir doch sehr lethargisch – im Nachhinein wohl zu lethargisch. Auch wenn viele Unternehmen noch relativ günstig waren, haben wir von Mai bis August ziemlich wenig investiert. Woran lag es? Wohl an der Hoffnung, dass die Kurse nochmals so stark einbrechen wie zuvor. Aber der Börse ist scheißegal was du erwartest oder worauf du hoffst. Mr. Market frägt dich nicht „Was hätt ma denn gern für einen Preis, Herr Bleicher?“, sondern haut dir sein Angebot auf den Tisch und du kannst entscheiden, ob du’s annimmst oder es sein lässt. Erst um den August herum hatten wir uns wieder soweit gesammelt, dass wieder verstärkt investierten. Ich denke wir haben während des Crashs vieles richtig gemacht, vor allem als es nach unten ging. Als jedoch die Aktienkurse wieder stiegen, habe ich mich da zu sehr aus dem Konzept bringen und somit die ein oder andere weitere tolle Gelegenheit verstreichen lassen. Ja, in seinem ersten Crash macht man viele Erfahrungen und darüber bin ich sehr froh. Ich bin schon gespannt was wir im nächsten Crash lernen werden.


Turnaround: „In Theory there is no difference between theory and practice. In practice there is“

Dieses Zitat von Yogi Berra passt, denke ich, sehr gut zu diesem Abschnitt. Ich gehe in meinen Letters oft auf meine Fehler des vergangenen Jahres ein – also zumindest auf diejenigen, die ich entdecken konnte. Auf der einen Seite hilft es mir diese besser aufzuarbeiten und auf der anderen Seite sind es wohl meine Fehler, die für euch am nützlichsten sind. Deswegen möchte ich dieses Jahr ein paar Worte über Turnarounds verlieren.
Turnarounds sind vom Prinzip her Aktien, die sich im Umbruch befinden. Aufgrund einer schlechten Geschäftsentwicklung wurde der Aktienkurs nach unten geprügelt. Wenn man davon ausgeht, dass das Unternehmen das Ruder wieder herumreißen kann, den Turnaround also schafft, und zu alter Stärke zurückfindet, ist eine ansprechende Rendite möglich. In der Theorie einfach, aber wie sieht’s aber in der Realität aus?

Sehen wir uns hierzu unsere beiden teilweise ehemaligen wikifolio-Positionen Capri Holdings und Pandora an. Mir ist es jetzt auch egal, ob man es Turnaround, Deep Value oder wie auch immer nennt. Andi und ich sagen einfach, dass es unsere Interpretation von Deep Value nach Benjamin Graham war. Normalweise zielt unser Bavarian Way of Value Investing auf Qualitätsunternehmen zu günstigen Preisen ab. Die Qualität muss stimmen, danach muss der Preis passen. Bei Capri und Pandora hatten wir in erster Linie aber den Preis im Fokus. Es war also irgendwie das Gegenteil von Warren Buffett’s Spruch: „It’s far better to buy a wonderful company at a fair price than a fair company at a wonderful price.“

Aber der Unterschied zwischen Preis und Unternehmenswert bzw. unserer Schätzung des Unternehmenswertes war zu verlockend, sodass wir beide Unternehmen ins wikifolio aufgenommen haben mit dem Ziel diese bei Erreichen des fairen Wertes wieder zu verkaufen. Ja, die Idee war löblich, die Ausführung eher so naja. Zunächst und wie schon öfters erwähnt sind wir beide Male zu früh eingestiegen. Capri und Pandora befanden sich mitten im Umbruch und das hatten wir deutlich unterschätzt. Somit waren es doch nur vermeintliche Schnäppchen, denn eigentlich haben wir zum damaligen Zeitpunkt zu viel für beide Unternehmen bezahlt. Capri befindet sich aktuell noch mit einem guten Minus im wikifolio. Unser Investment Case ist weiterhin gleich, aber mittlerweile haben wir „unseren“ fairen Wert nach unten korrigieren müssen, genauso wie unsere Renditeerwartung für dieses Investment.

Pandora haben wir mittlerweile verkauft – fairer Wert erreicht, Investment Case abgeschlossen. Aber wie erfolgreich war unsere Investition wirklich? Im November 2018 haben wir 80 Aktien für 47 € ins wikifolio aufgenommen und im Mai 2019 nochmals 20 Stück für 35 €. Danach fiel der Kurs noch auf unter 30 €. Verkauft haben wir Pandora dieses Jahr, 60 Stück im Juni für 51 € und 40 Stück im Juli für 55 €. Somit haben wir Pandora insgesamt für 44,6 € gekauft und für 52,6 € verkauft – Gesamtrendite ca. 18%. Wir waren π × Daumen zwei Jahre investiert. Dann kommen wir bei einer jährlichen Rendite von ca. 8,6% raus – nicht das, was wir uns ursprünglich vorgestellt hatten. Und dieses eher enttäuschende Ergebnis haben wir mit einem Investment erzielt bei dem es auf und ab ging, wir uns Fehleinschätzungen eingestehen mussten und es generell viel zu wenig mit dem eher gemütlichen Bavarian Way of Value Investing zu tun hatte. Unser damaliger Kauf war wohl doch eher eine Turnaround-Spekulation als eine Investition. Achja … und mittlerweile steht der Kurs von Pandora bei über 80 € – ja Turnarounds sind in der Theorie schön und logisch, aber in der Realität sehr viel schwerer und unsicherer als man glaubt.

Ich habe erkannt, dass unsere „eigentliche“ Strategie mit Fokus auf Qualitätsunternehmen der bei weitem entspanntere und auch erfolgreichere Ansatz ist und daher werde ich mich in der nächsten Zeit von Turnarounds oder einer Art „Deep Value Ansatz“ fernhalten. Qualität ist das A und O – was auch Warren Buffett, Charlie Munger oder Michael Kissig nicht müde werden immer wieder zu betonen.


Mit diesen Worten bin ich auch schon am Ende meines diesjährigen Briefes angelangt. Ich weiß, dass es ein sehr spezielles Weihnachten dieses Jahr wird. Trotzdem möchte ich euch, euren Freunden und Familien ein besinnliches Weihnachtsfest und schöne Feiertage wünschen. Bleibt gesund und bleibt positiv.

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Bill Murray in „Die Geister, die ich rief …“ / Originaltitel: Scrooged (Quelle: Tenor)


Euer freundlicher Value Investor aus der bayrischen Nachbarschaft


Daniel „D!“ Bleicher


Disclaimer


Hinweis nach §34b WpHG: Wir können teilweise selbst direkt oder indirekt im Besitz der angesprochenen Wertpapiere sein. Die Unternehmensanalyse stellt keine Anlageberatung oder Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.

Risikohinweis: Die analysierten Aktien unterliegen Kursschwankungen. Im Extremfall ist auch ein Totalverlust möglich.

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Comments (4)

Schöner Brief und Jahresrückblick. Ich bin auch schon fleißig am schreiben für diese wichtige (und bestimmt lehrreiche) Übung. Über Pandora als Turnaround Investment habe ich relativ oft geschrieben. Im Jahresrückblick werde ich zwar auf eine sehr gute Performance zurück blicken, mir aber immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass es hätte anders kommen können (alternativ histories), insbesondere bei Turnarounds.
Passende Zitate baue ich auch fleißig ein, das obige hatte ich zufällig auch noch vor ein paar Tagen benutzt 🙂

Vielen Dank Matthias! 🙂
Freut mich, dass du dich bei Pandora besser anstellst wie wir. 🙂 Turnarounds sind echt eine tricky Angelegenheit. Und ich musste auch erkennen, dass ich mich damit aktuell noch sehr schwer tue.
Wie Charlie Munger bzw. der erste Premierminister von Singapur Lee Kuan Yew schon sagte: “If you want one mantra, it’s from a gentleman who just died, Lee Kuan Yew … ‘Figure out what works and do it’.”
Und Turnarounds funktionieren bei mir momentan noch nicht wirklich. Da bleibe ich lieber bei “simplen” Qualitätsaktien mit günstiger Bewertung. Man muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen. 😉

Beste Grüße aus Bayern und schon einmal ein frohes Fest!
Dani

Toller Jahresrückblick, sowas sollte ich auch noch schreiben. ? Der dickste Bock, den ich geschossen hab, war so gut wie voll investiert zu sein, als es in den Crash ging. Aber lehrreich war’s auf alle Fälle. ??

Dankeschön Daniel! 🙂
Das mit dem Cash ist meiner Meinung nach eine Glaubensfrage. Andi und ich fühlen uns aktuell mit etwas Cash in Tasche wohler. Michael Kissig z.B. ist der Meinung, dass man immer voll investiert sein sollte. Jeder Investor muss wohl für sich selbst entscheiden was zur eigenen Strategie und zur eigenen Persönlichkeit passt.

Beste Grüße
Dani

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